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Synagoge Ahrweiler: Amnon Weinstein stellt für das Publikum die Geigen aus

70 Jahre Auschwitz-Befreiung

Mit Geigen an den Holocaust erinnern

Stand: 27.01.2015, 06:00 Uhr

Amnon Weinstein sammelt und restauriert Geigen, deren jüdische Besitzer vor dem Terror der Nationalsozialisten geflohen waren, die deportiert und ermordet wurden. Am Dienstagabend spielen die Berliner Philharmoniker auf den Instrumenten.

Amnon Weinstein ist einer der Besten in seinem Fach: Weltweit gefeierte Solisten kommen zu ihm in die Shlomo Ha-Melekh, die König Salomon-Straße, und vertrauen Weinstein ihre Geige oder ihr Cello zur Reparatur an. Gelernt hat er sein Handwerk in den 1960er Jahren bei seinem Vater Moshe. Und bei den besten Geigenbauern in Cremona und Paris. Also in Europa, das seine Eltern 30 Jahre zuvor verlassen mussten, um zu überleben. Vilnius, die heutige Hauptstadt Litauens, war die Heimat seines Vaters.

Der Vater kaufte die Geigen

Geboren 1939 zur britischen Mandatszeit in Palästina, zählt sich Amnon Weinstein nicht zu denjenigen, die den Holocaust überlebt haben. Aber die Emigration seiner Eltern und deren Trauer haben ihn geprägt, genauso wie die traumatisierten Emigranten, die seine Eltern in Tel Aviv vorübergehend aufnahmen. "Erst 1945, nach Kriegsende, erfuhren die Menschen in Israel vom Ausmaß der Judenvernichtung in Europa", sagt Amnon Weinstein. "Ab diesem Zeitpunkt haben die Leute alles Deutsche gemieden, von Autos bis zu Geigen. Sie haben die Geigen zerstört, oder aber sie haben sie zu meinem Vater gebracht und gesagt: Wenn Du sie nicht kaufst, dann schlag‘ ich sie klein. Das hat mein Vater nicht ertragen, also hat er jedes angebotene Instrument gekauft - mit der sicheren Aussicht, dass er die Geigen in den nächsten 50 Jahren nicht wird verkaufen können."

So hat Amnon Weinstein von seinem Vater nicht nur die Werkstatt übernommen, sondern auch eine Sammlung teils hervorragender Instrumente aus Deutschland. Später kamen andere dazu, Geigen jüdischer Familien, von den Nazis beschlagnahmt. Oder eine Geige, die vom Lager-Orchester im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gespielt wurde. Der Geigenbauer hat sie über Monate hinweg restauriert.

Die Geschichten hinter den Geigen

Amnon Weinstein erzählt, was er über seine Geigen weiß. Da gibt es zum Beispiel ein Instrument, das einem deportierten Juden aus Frankreich gehört hat. "In Drancy waren 67.000 Juden interniert, einer von ihnen hatte diese Geige, wir kennen seinen Namen nicht. Aber alle Gefangenen in Drancy wurden mit dem Zug nach Auschwitz deportiert. Bei einem Stopp hat der Geigenbesitzer aus dem Waggon gerufen: ‚Bitte, fangen sie die Geige auf. Wo ich hingehe, brauche ich sie nicht mehr. Aber die Geige soll überleben.‘ Dann hat er das Instrument in seinem Kasten aus dem Zug geworfen. Die Geige ging dabei kaputt. Aber sie wurde aufbewahrt, kam nach Jahrzehnten zu mir nach Israel. Und heute kann man sie sogar wieder für Konzerte verwenden."

Genau das macht Amnon Weinstein seit Jahren: Er bringt seine Geigen zu besonderen Konzerten auf der ganzen Welt. Viel Zeit und Mühe steckt er in dieses Projekt, das er selbst "Violins of Hope" genannt hat, "Geigen der Hoffnung". Denn die ersten Geigen kamen mit denen ins heutige Israel, die noch vor Deportation und Vernichtung im Konzentrationslager fliehen konnten. Die Geigen sind Beleg für gerettetes Leben. Heute spielen gefeierte Solisten wie der Israeli Gil Sharon auf den Weinstein-Geigen.

Konzertprojekt kostet Energie und Geld

Sympathie und Anerkennung erntet der Geigenbauer aus Tel Aviv, wenn er in Istanbul und Rom oder auch in den USA die Geschichten seiner Geigen einem immer größeren Publikum näher bringt. Aber die eigene Familie, klagt seine Frau Assi, muss dabei zurückstecken. "Ich glaube, es hat überhandgenommen. Und er zahlt einen hohen Preis für sein Engagement. Es spielt emotional eine große Rolle und  auch für unsere wirtschaftlichen Verhältnisse. Amnon richtet lieber seine Geigen her als für unser Einkommen zu sorgen. Einmal, als er eine Geige für 10.000 Dollar kaufen wollte, habe ich gesagt: Hör mal, wo soll das Geld dafür herkommen?"

Wenn Amnon erklären soll, was ihn so sehr antreibt, dann erzählt der alte Mann mit der großen Brille und dem Piratenbart von seiner Familie. Egal welcher jüdische Feiertag begangen wurde, sie waren immer nur zu viert am Tisch: Nur die Eltern und die beiden Kinder. Keine Verwandten. Alle waren sie von deutschen SS-Soldaten in Litauen umgebracht worden.

"Durch Musik ist es einfacher, den Holocaust zu verstehen"

Elina Gurevic und Max Simon, Konzert in der Synagoge Worms

Elina Gurevic und Max Simon bei einem Konzert in der Synagoge Worms mit den Geigen Amnon Weinsteins

Wenn er als Kind nach seinen Geschwistern gefragt hat, erzählt Amnon Weinstein, dann habe seine Mutter immer weinen müssen. Keine Familie und nicht einmal Erinnerung an Großeltern, das ist eine schmerzende Lücke im Leben von Amnon Weinstein geblieben. Er tritt diesem Schmerz mit seinen Geigen entgegen. Er sagt, sie könnten helfen. "Durch Musik ist es einfacher, den Holocaust zu verstehen. Denn für Musik ist man viel empfänglicher als für Worte. Wenn ich vor Publikum einen Vortrag über den Holocaust halte, dann ist der Saal nach einer halben Stunde schon wieder leer."

"Aber wenn du die Musik hörst und etwas über den Zusammenhang mit der Judenverfolgung weißt, dann erreicht Dich das alles viel eher. Das ist der springende Punkt. Letztlich geht es um die Überzeugung, dass so etwas nie mehr geschehen darf, nie mehr."

Gewaltige Geste

Nie mehr, das war auch Amnon Weinsteins Botschaft, als er vor ein paar Wochen seine Geigen zum ersten Mal zu Konzerten in deutschen Synagogen gebracht hat. Musik jüdischer Komponisten wie Felix Mendelssohn-Bartholdy, gespielt auf Geigen ermordeter Juden - es ist eine gewaltige Geste, die Amnon Weinstein da versucht. Noch auf der Reise nach Deutschland war er sich nicht sicher, wie viel Skepsis, wie viel Konfrontation ihm begegnen würde. "Wir bringen Beweise für Schreckliches hierher. Denn in dem Fall ist die Musik ein Beweis. Und die Deutschen nehmen das hin, sie setzen sich damit auseinander."

Kein Besucher fasst die Geigen an

 Lukas Stepp  bei einem Konzert in der Synagoge Ahrweiler

Lukas Stepp bei einem Konzert in der Synagoge Ahrweiler mit einer Weinstein-Geige

Am Ende ist der Geigenbauer aus Tel Aviv froh, dass er es gewagt hat, die Geschichten seiner Geigen auch einem deutschen Publikum zu erzählen. Nach dem Konzert  war Amnon Weinstein mit seinen Geigen umringt von Konzertbesuchern, die noch mehr wissen wollten, etwa über die Geige, die mit fünf Davidsternen verziert ist. "Wenn ich sehe, wie alles abläuft und wie sie spielen, dann habe ich die richtige Entscheidung getroffen. Ich bin erleichtert. Und eines ist bemerkenswert: Oft ist es so, dass die Leute meine Geigen anfassen wollen. Hier hat niemand auch nur eine der Geigen angefasst."

Respekt und Interesse hat Weinstein gefunden. Er ist in diesen Tagen noch einmal in Deutschland, die Berliner Philharmoniker spielen am Holocaust-Gedenktag auf seinen Geigen. Das ist auch Anerkennung für seine Erinnerungs-Arbeit. Amnon Weinstein sagt, solange er kann, will er zu möglichst vielen solcher Konzerte beitragen.

Autor des Radiobeitrags: Christian Wagner