Marco Helbig als "Der Reimteufel" am Mikro auf der Bühne

Serie (3/6) - Auschwitz und Ich

History Slam - Rappend in die Vergangenheit

Stand: 28.01.2015, 06:00 Uhr

Geschichte(n) erzählen - das muss nicht immer per Buch sein oder Film. Es geht auch als Rap. Marco Helbig nähert sich auf seine ganz eigene Art der Vergangenheit, ohne dabei die Gegenwart aus den Augen zu verlieren.

Von Christian Werner

Marco Helbig aus Leipzig ist Historiker und Musiker. Beides bringt er zusammen: Helbig rappt Geschichte. Sprachlich verdichtend rückt (und rockt) er die Vergangenheit näher. Helbigs Texte klingen zum Beispiel so: "Und es rattern die Züge durch das Land, ich berühr' die Platten mit meiner Hand, es raubt mir den Verstand, denn ich kann es nicht verstehen, kann die Bilder nicht ansehen, hier noch im familiären Idyll, dort gestapelt, wie Berge von Müll. Es ist kein Gefühl, nur der Druck der Tränen, die entweichen wollen, sie rollen und doch drückt es nichts aus, es sind nur Messingplatten – vor so manchem Haus..."

Vertonte Stolpersteine

Messingplatten vor einem Haus – gemeint sind die "Stolpersteine" des Kölner Künstlers Gunter Demnig. Er hat sie schon an vielen Orten angebracht, um an Opfer des NS-Regimes zu erinnern. Marco Helbig hat die Stolpersteine vertont. Der Leipziger hat zu diesem Lied immer wieder eine Frage gestellt bekommen, wie er selber erzählt: Kann man das machen? Er sagt: ja! "Weil ich einfach davon ausgehe, dass mit anderen Möglichkeiten wie Gedenkveranstaltungen etc. pp. man die Leute zwar bekommt, aber nicht mehr die Kinder und die Jugend. Es sei denn, sie werden in Projekten herangeführt, und das wird schwierig, und es wird umso schwieriger, je mehr die Zeitzeugen jetzt sterben."

Der Reimteufel - Stolpersteine (Copyright: Der Reimteufel)

Verfügbar bis 31.01.2500

Rap vermittelt Geschichte

Einen Song wie "Stolpersteine" zu schreiben, ist für auch für den Textakrobaten Marco Helbig nicht alltäglich. Dem Mann mit der Glatze und dem schwarzen Rauschebart ist bewusst, dass sein musikalischer Umgang mit diesem Thema nicht unbedingt überall gut ankommt. Unter anderem deswegen brauchte er für diesen Song längere Zeit. Beim Schreiben war ihm vor allem wichtig, nicht plump zu werden, erzählt er: "Das nicht schlicht zu machen. Es ist emotional, aber ich wollte es auch nicht zu emotional. Ich wollte einfach, dass es aufrüttelt zum Zuhören, dass man die Thematik begreift, worum es mir geht und was es mir bedeutet Es sollte keine Geschichtsarbeit werden. Es sollte ausdrücken, was in mir vorgeht."

Wenig Aufwand – große Wirkung

Marco Helbig hat als Jugendlicher in den neunziger Jahren mit dem Rappen begonnen, inspiriert unter anderem von den Fantastischen Vier. Heute promoviert er an der Universität Potsdam. Sein Thema: der Rabbiner Ephraim Carlebach, der Anfang des 20. Jahrhunderts die erste Schule für orthodoxe Juden in Leipzig gegründet hat. Auf dem Historikertag 2014 in Göttingen sollten Doktoranden ihr Promotionsthema in wenigen Minuten und auf eine kreative Art und Weise vorstellen. Marco Helbig entscheidet sich - für einen Rap: "Rap gibt einem die Möglichkeit, mit wenig Hilfsmitteln etwas zu schaffen. Man muss nicht unbedingt ein Instrument spielen können. Man braucht ein Blatt Papier, einen Stift und dann geht damit der Punk ab."

Kurze Aufmerksamkeitsspanne

Der 35-Jährige möchte nicht in einen Topf geworfen werden mit Rappern, die die Attitüde des Straßengangsters pflegen und der Welt ihren Frust entgegen schreien. Er begreift seine Musik vielmehr als Möglichkeit andere, vor allem junge Leute, wachzurütteln und für die Vergangenheit zu interessieren. Oft geht er an Schulen, bietet Projekte an, die sich unter anderem mit dem Holocaust befassen. Sein Rap ist meist ein Einstieg, um Aufmerksamkeit herzustellen: "Wir leben in einer extrem schnelllebigen Zeit. Ich merke, dass bei jungen Menschen Lieder, die länger gehen als drei Minuten, und wo man erst den Sinn des Liedes komplett begreift, wenn man die drei Minuten Text sich angehört hat, das ist fast unmöglich. Wenn nach zwei Minuten oder anderthalb Minuten nicht schon der Inhalt völlig offen liegt, wird es schwierig! Das ist auch eine Sache, wo ich versuche in den Schulen bei den Kindern in den Köpfen wieder einzubringen, dass man doch einer Sache zuhören muss."

Kein einfaches Unterfangen in einer Zeit, in der Smartphones, Apps und soziale Netzwerke die Jugendlichen fesseln. Genau da aber möchte Marco Helbig ansetzen, er will die neuen Medien nutzen, um der heranwachsenden Generation Geschichte nahezubringen. Und es funktioniert!

Redaktion: Imke Marggraf