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Küchenexperimente - Plastik selber machen

Stand: 17.01.2014, 16:05 Uhr

Die Herstellung von Kunststoff erfordert aufwändige chemische Synthese-Prozesse. Man kann sich die Sache aber auch einfach machen: Wir köcheln Kunststoff aus Milch.

Von Sascha Ott

In diesem Jahr soll in Hannover eine ungewöhnliche Kleider-Produktion starten: Klamotten aus Milch. Tatsächlich verarbeitet hier ein junges Start-up-Unternehmen Milchabfälle, die wohlgemerkt nicht mehr für als Lebensmittel verwendet werden dürfen, zu Kunstfasern. Dass das technisch gar nicht so schwer ist, zeigt dieses Experiment: Ich mache Kunststoff in der Küche.

DER VERSUCH

Dieses Experiment bietet eine schöne Gelegenheit, sich die Milchverpackungen im Kühlregal mal etwas genauer anzuschauen. Denn wenn hier im folgenden von „frischer Milch“ die Rede ist, meine ich damit nicht etwa die inzwischen sehr weit verbreitete „länger haltbar“ gemachte Milch und natürlich erst recht keine H-Milch. Sondern für die Kunststoffproduktion brauche ich:

  • ein großes Glas frische Milch (3,5% Fett);
  • Essig;
  • ein feinmaschiges Sieb;
  • einen Topf;
  • einen Herd;
  • einen Kochlöffel oder etwas anderes zum Rühren.

Ich gieße die Milch in einen Topf und gebe einen Schuss Essig dazu. Dann stelle ich das Ganze auf den Herd und beginne unter ständigem Rühren, das Milch-Essig-Gemisch vorsichtig zu erwärmen. Die Milch sollte nur handwarm, keinesfalls richtig heiß werden.

DAS ERGEBNIS

Weiße Klümpchen. Erst sind es nur zarte Flocken, dann – wenn die Milch wärmer wird – verklumpen die zarten Flocken zu immer größeren Bröckchen. Und wenn ich nach ein paar Minuten den Topfinhalt durch ein feines Sieb gieße, bleibt ein gehäufter Esslöffel einer weißen grobkörnigen Masse zurück, die, je mehr sie trocknet, immer gummiartiger wird.

DIE ERKLÄRUNG

Die weiße Masse ist Kasein. Kasein ist eine Mischung aus verschiedenen Eiweißstoffen der Milch und bildet etwa 80 Prozent der gesamten Proteinmenge der Milch. Durch die Säure des Essigs wird das Eiweiß der Milch von der Molke getrennt. Die Milch gerinnt. Die Wärme sorgt dafür, dass die hauchdünnen Eiweißfäden immer stärker verklumpen. Das ist ein ähnlicher Mechanismus, der auch dafür verantwortlich ist, dass Fiebertemperaturen über 42 Grad Celsius lebensgefährlich sind: Eiweißstoffe im Körper verklumpen bei diesen Temperaturen irreversibel.

Wenn ich die Eiweißklümpchen dann von der Molke trenne und etwas trockne, bekomme ich eine bröckelige geschmacklose Masse. Das Kasein bildet natürlich einerseits die Grundlage für Quark, Käse und andere Milchprodukte. Andererseits wurde daraus aber tatsächlich auch der erste Kunststoff hergestellt: Galalith oder auch Kunsthorn oder Milchstein wurde er genannt. Bereits im 16.Jahrhundert wurde ein erstes Rezept für einen solchen Casein-Kunststoff niedergeschrieben.

Ende des 19.Jahrhunderts wurde Galalith zur industriellen Reife gebracht. Knöpfe und Besteckgriffe, Kämme und Leitungsisolierungen – aus Galalith wurden bis zum zweiten Weltkrieg die unterschiedlichsten Produkte hergestellt. In den fünfziger Jahren verdrängte aber aus Erdöl hergestelltes Plastik das Galalith vom Markt. Heute findet man das Galalith immer noch in ein paar Nischen, zum Beispiel bei manchen Stricknadeln, da das Material angenehm in der Hand liegt und die Wolle gut gleiten lässt.

FAZIT

Erdöl wird immer knapper und teurer. Auch wenn nur wenige Prozent der jährlichen Ölproduktion in die Kunststoffindustrie wandert, wird überall nach alternativen Kunststoffen geforscht – aus Mais und Raps und warum nicht auch aus Milch? Von den fast 30 Millionen Tonnen Milch, die in Deutschland jährlich produziert werden, können etwa 20 Prozent aus unterschiedlichen Gründen nicht für die Lebensmittelproduktion verwenden werden. Eine Verarbeitung zu Kunststoffen oder Kunstfasern wäre durchaus denkbar. Und reizvoll wäre es doch auch, Kleidung zu tragen, deren Fasern die altmodische Erdölchemie hinter sich gelassen haben.

Redaktion:
Peter Ehmer