Lesefrüchte

"V 13. Die Terroranschläge in Paris. Gerichtsreportage" von Emmanuel Carrère

Stand: 01.08.2023, 18:26 Uhr

Neun Monate dauerte der Prozess um die Terroranschläge im Paris am 13. November 2015. Der französische Erfolgsschriftsteller Emmanuel Carrère verfolgte das Verfahren vom ersten bis zum letzten Tag und schrieb darüber wöchentlich für das Magazin "Nouvel Observateur".

Sein Buch "V 13", die Abkürzung für Vendredi 13, für den unglückseligen Freitag der Attentate, versammelt nun diese Berichte.

Emmanuel Carrère notiert die Aussagen von Überlebenden und Hinterbliebenen, von Polizisten und Ärzten und formt sie zu einem ergreifenden und ungeheuer intensiven Report aus dem Konzertsaal Bataclan und von den Caféterrassen des elften Arrondissements. Mal fügt Carrère einzelne knappe Aussagen zu einem Mosaik des Grauens zusammen, mal lässt er Betroffene mit ihrer Geschichte voller Todesangst und Trauer ausführlich zu Wort kommen.

Normalerweise stehen bei Prozessen die Täter im Zentrum, nicht die Opfer. Man will wissen, wie die Angeklagten gestrickt sind und etwas erfahren über ihre Motive. Das Pariser Jahrhundertverfahren ist in dieser Hinsicht wenig ergiebig. Das Geheimnis des Bösen erweist sich als ein mageres Geheimnis. Stattdessen macht der Prozessbeobachter Bekanntschaft mit dem "Geheimnis des Guten". Das Verfahren enthüllt zahlreiche Beispiele von Mut und Selbstlosigkeit. Carrère erzählt bewundernd und staunend von Menschen, die nicht zuerst an sich selbst dachten, sondern anderen unter Einsatz ihres Lebens geholfen haben, die zum Sterben bereit waren, um zu retten.

Der Autor betont die kollektive Dimension des Prozesses. Dessen Hauptaufgabe sei es gewesen, die Erfahrungen der betroffenen Menschen, ihr Entsetzen, ihr Leid, ihre Entschlossenheit, zu einer Gemeinschaftserzählung zusammenzuführen. Emmanuel Carrère erzählt voller Anteilnahme und mit schriftstellerischer Finesse von dieser Reise. Sein Buch ist ein meisterliches Zeugnis menschlicher Größe, es ist erschütternd, erhellend und befreiend.

Eine Rezension von Holger Heimann

Literaturangaben:
Emmanuel Carrère: V 13. Die Terroranschläge in Paris. Gerichtsreportage
Aus dem Französischen von Claudia Hamm
Verlag Matthes & Seitz Berlin, 278 Seiten, 25 Euro