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Buchcover: "Verderben" von Karin Smirnoff nach Stieg Larsson

Buch der Woche

"Verderben" von Karin Smirnoff nach Stieg Larsson

Stand: 01.09.2023, 11:33 Uhr

Überraschung: Karin Smirnoff, eine der interessantesten Newcomerinnen der schwedischen Gegenwartsliteratur, aber keine "gelernte" Krimiautorin, schreibt die Stieg Larsson-Millenium-Saga weiter. Das gelingt nur bedingt, ist aber trotzdem spannend. Insofern: Gute Unterhaltung!

Die Millennium-Reihe des schwedischen Journalisten und Schriftstellers Stieg Larsson, erschienen zwischen 2005 und 2007, war mit annähernd 100 Millionen verkauften Büchern ein Welterfolg; die Verfilmungen fesselten weitere Millionen; die Hauptfiguren, der Journalist Mikael Blomkvist und insbesondere die Hackerin Lisbeth Salander sind längst Ikonen der zeitgenössischen Populärkultur. Stieg Larsson starb 2004, den Erfolg seiner Schöpfung hat er nicht mehr miterlebt.

Larsson hinterließ die drei Romane und Konzepte für mehrere Folgebände, insgesamt war die Reihe auf zehn Bände angelegt. Die Erben beauftragten zunächst den Schriftsteller David Lagercrantz mit drei Fortschreibungen, die zwischen 2015 und 2019 veröffentlicht wurden; ein Roman von John Ajvide Lindqvist wurde abgelehnt, er erschien kürzlich unter dem Titel “Refugium“ ohne Bezug zur Millennium-Reihe.

Jetzt also Karin Smirnoff, geboren 1964, als Schriftstellerin seit 2018 präsent; ihre Romane "Mein Bruder" (2021) und "Wunderkind" (2023) wurden auch ins Deutsche übersetzt.

Smirnoffs Stieg Larsson-Fortschreibung "Verderben" führt nach Nordschweden, wo im Zuge der Grünen Wende riesige Industrialisierungsprojekte mit Milliardeninvestitionen anstehen. Das sorgt für Begehrlichkeiten auch beim Organisierten Verbrechen; zugleich nimmt natürlich mit diesen Industralisierungprozessen auch das "normale" Verbrechen in der an sich eher ruhigen Gegend zu.

Das sind die Grundlagen, aus denen Karin Smirnoff ein so packendes wie beklemmendes Szenario zaubert, das Millennium-würdig ist und das Stieg Larssons Reihe authentisch fortschreibt – allerdings nur im ersten Teil des Romans. In der zweiten Hälfte verliert die Geschichte deutlich an Konzentration; so sehr, dass die Konstruktion teils zusammenbricht wie ein Kartenhaus.

Der Grund dafür ist, dass Karin Smirnoff einige Grundbedingungen des Genre-Erzählens allzu lässig handhabt und missachtet. Bedauerlich. Interessant ist allerdings, dass Karin Smirnoff den sozialkritischen und politisch linken Kern des Geschehens wieder stärker betont, um den es Stieg Larsson mit seinen Romanen zuvorderst ging; ganz im Sinne der schwedischen Krimi-Tradition seit Sjöwall & Wahlöö mit ihren Kommissar Beck-Romanen in den 1960er und 1970er Jahren.

Da bietet ganz offensichtlich auch die kommende Welt eines möglichen grünen Zeitalters höchst spannende Möglichkeiten. Insofern: Gute Unterhaltung, trotz allem. Und Krimipuristen können ja ein wenig warten, bis die Verfilmung kommt, und mit ihr ein paar Optimierungsmöglichkeiten. Dass sie kommen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Eine Rezension von Ulrich Noller.

Literaturangaben:
Karin Smirnoff nach Stieg Larsson: Verderben
Aus dem Schwedischen von Leena Flegler
Heyne Verlag, 2023
464 Seiten, 24 Euro