Buchcover: "Maniac" von Benjamin Labatut

Buch der Woche

"Maniac" von Benjamín Labatut

Stand: 10.11.2023, 15:22 Uhr

Im Blockbuster "Oppenheimer" spielte er keine Rolle, hier steht er im Zentrum: John von Neumann, Mathematikgenie, Spitzenphysiker, maßgeblicher Kopf beim Bau der ersten Atombombe, der angeblich klügste Mann des 20. Jahrhunderts, moralisch ein Totalausfall.

In "Maniac" wird John von Neumann zur schrecklichen Lichtgestalt. Man liest so was ja mit einiger Bewunderung: dass er schon mit zwei Jahren lesen, mit sechs zwei achtstellige Zahlen im Kopf dividieren konnte, dass er Latein und Altgriechisch fließend sprach, später die mathematischen Grundlagen der Quantenmechanik legte und der Einmannstoßtrupp des technischen Fortschritts war.

Digitale Welten, Spieltheorie, die Blaupausen für künstliche Intelligenz und sich selbst reproduzierende Maschinen, das alles geht auf John von Neumann zurück, über den seine erste Ehefrau sagte, er wäre alleine vorm heimischen Herd verhungert, wohl weil er nicht in der Lage war, einen Topf mit Wasser aufzusetzen. Der Bewundernswerte war anscheinend auch hilflos und erschreckend dazu.

Nachdem er mit seinen mathematischen Gleichungen das Funktionieren der ersten Atombombe gesichert hatte, riet er amerikanischen Generälen zum atomaren Erstschlag gegen die Sowjetunion.

"Maniac" ist ein weitreichender Dreisprung. Er beginnt mit dem österreichischen Physiker Paul Ehrenfest, der an der revolutionären Physik und dem totalitären Zeitgeist der 30er Jahre in Europa irre wurde; geht über zum Hirnmonster von Neumann, dessen zweifelhafte Gestalt aus den Stimmen von Vertrauten und Weggefährten Kontur gewinnt, und landet bei AlphaGo, einem selbstlernenden Supercomputer – 2016 hat er den Weltchampion des Go-Spiels virtuos geschlagen.

Benjamín Labatut liefert damit eine Geschichte der Glanz- und Horrorleistungen technologischer Entwicklung, gespiegelt auch und vor allem im Charakter des manischen Großwissenschaftlers von Neumann.

Er ist das Kraftzentrum des formal eigenwiligen Romans, in dem Algorithmen und Gleichungen (zum Glück aller Nichtmathematiker) nicht vorkommen. Komplex ist die Geschichte trotzdem, aber dank Labatuts luzider Prosa (und der gelungenen Übersetzung) doch wunderbar klar, verständlich und erhellend.

Eine Rezension von Ferdinand Quante

Literaturangaben:
Benjamín Labatut: Maniac
Aus dem Englischen von Thomas Brovot
Suhrkamp, 2023
398 Seiten, 26 Euro