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Buchcover: "Schelmenroman" von Gerhard Henschel

Buch der Woche

"Schelmenroman" von Gerhard Henschel

Stand: 04.01.2024, 16:14 Uhr

Martin, Hauptfigur und Erzähler in Gerhard Henschels "Schelmenroma", ist Mitte der 90er Jahre Redakteur bei einer satirischen Zeitschrift. Mit trockenem Humor und fein beobachtet taucht Henschel in den Redaktionsalltag ein.

Martin und seine Kollegen schalten eine Anzeige in der Tageszeitung "taz" – zu Ernst Jüngers 100. Geburtstag! Jünger, der seinerzeit vor allem für zwei Dinge bekannt war: dass er selbst höchstpersönlich an seinem 100. Geburtstag noch die Festrede halten konnte. Und: dass er als Autor von berüchtigten Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg den sehr zweifelhaften Ruf genoss, der umstrittenste deutsche Schriftsteller seiner Zeit zu sein.

"Haben Sie Fragen an das Geburtstagskind?" heißt es in Martins satirischem Inserat. "Ernst Jünger antwortet. Live. Persönlich. Nur heute von 11 bis 14 Uhr." Dann folgt die Telefonnummer der satirischen Zeitschrift "Titanic". Als die ersten ernsthaften Anrufer sich melden, antwortet Redakteur Martin ihnen mit krächzender Stimme als falscher Ernst Jünger.

Martin Schlosser ist das literarische Alter Ego von Gerhard Henschel, einem ungemein produktiven Romancier und Sachbuchautor, der bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde – zuletzt 2023 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor. Er stammt aus Niedersachsen und lebt heute in Hamburg.

In einem Buch mit dem Titel "Da mal nachhaken: Näheres über Walter Kempowski" hat er an den norddeutschen Autor erinnert, in der DDR acht Jahre politischer Gefangener und für Henschel in gewisser Hinsicht auch ein literarisches Vorbild. Henschels Chronik um die Abenteuer seines Erzählers Martin Schlosser ist mit dem neuen "Schelmenroman" jetzt auf zehn Bände angewachsen.

Das Buch lässt sich problemlos verschlingen, ohne die übrigen neun Bände gelesen zu haben. Macht aber auf jeden Fall so viel Lesehunger, dass man danach gleich losstürzen und sich den Rest der Chronik besorgen möchte.

Im "Schelmenroman" geht es nicht allein um die Arbeit in der Titanic-Redaktion, sondern um Begegnungen mit Kollegen, Lesereisen mit Henschels Freund Wiglaf Droste und viele, viele Treffen mit jungen Frauen, die Bettina, Kerstin oder Tanja heißen. Beneidenswert!

Alles fein beobachtet und mit trockenem Humor präzise notiert. So muss Redakteur Martin seinen Kollegen Max Goldt anrufen, um ihm zu erklären, dass Max in seiner neuen Kolumne Marias unbefleckte Empfängnis mit der jungfräulichen Empfängnis verwechselt habe.

"Und wo ist der Unterschied?" fragt ratlos Max Goldt. Die Antwort erfahren Sie in unserem "Buch der Woche".

Eine Rezension von David Eisermann

Literaturangaben:
Gerhard Henschel: Schelmenroman
Hoffmann & Campe, 2024
602 Seiten, 26 Euro