Buchcover:  "Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ von Doris Knecht

Buch der Woche

"Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ von Doris Knecht

Stand: 28.07.2023, 12:25 Uhr

Bei "Gruber geht", ihrem ersten Bestseller vor 12 Jahren, mussten zwei Wörter für den Titel reichen. Der aktuelle Buchtitel von Doris Knecht braucht ein paar mehr, aber dass der Roman wieder ein Bestseller wird, ist ihm zu wünschen.

Im Mittelpunkt eine mittelalte, alleinerziehende Mutter von Zwillingen, die gerade ihre Matura machen, danach unbedingt hinaus ins Leben wollen. Die Wohnung OHNE die Kinder ist zu groß und viel zu teuer. Die Frau ohne Namen wird umziehen müssen. Was ihr ein Graus ist, denn sie hasst Veränderungen. Darum wird es gehen auf den nächsten 237 Seiten: um Veränderungen. Wie man ein altes Leben ausmistet und was es braucht, um ein neues zu beginnen. Welche Erinnerung will man bewahren, was kann weg? Woran erinnert man sich, wenn man ein altes Foto sieht. Ist die Erinnerung scharf oder eher verschwommen, wie war es wirklich und was dichtet man dazu? Was verklärt sich, wenn man zurückblickt? Welche Verletzungen sind verheilt, welche Ängste geblieben? Hat man das Alleinsein gelernt und wann flackert sie auf, die Sehnsucht nach Zweisamkeit?

Doris Knecht erzählt von einem Neubeginn und sie tut das kein bisschen melodramtisch. Sie schreibt mit leichter Hand, mit feiner Ironie. Vermeidet jeglichen Bezug auf die fast schon standesgemäße Midlife-Crisis einer Frau um die 50, in deren Leben es genug Krisen gegeben hat. Genug, um sicher zu sein: das geht sich schon aus, mit dem neuen, anderen Leben, das kriege ich hin.

Man kann vermuten, dass die Autorin Doris Knecht entlang ihrer eigenen Lebenslinie erzählt. Die Frau im Roman ist auch Autorin, lebt in Wien, hat zwei Kinder. Die eigenen waren in den Publikationen von Doris Knecht oft ein Thema. Dass die Geschichte einen überaus versöhnlichen Ton hat, macht sie so besonders. So besonders schön und doch eindringlich. Da blickt eine Frau auf die erste Hälfte ihres Lebens zurück und ist kein bisschen verbittert oder enttäuscht, sondern eher überrascht, dass es jetzt so ist, wie es ist. Und sogar richtig gut zu werden scheint.

Ein Buch, das ich mit stiller Begeisterung gelesen habe. Und mit großer Sympathie für die Autorin.

Eine Rezension von Christine Westermann

Literaturangaben:
Doris Knecht: Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
Hanser Berlin, 237 Seiten, 24 Euro