Buchcover: "Bubusch" von Julia Kissina

Buch der Woche

"Bubusch" von Julia Kissina

Stand: 13.10.2023, 13:23 Uhr

Zwei jüdische Autoren. Sie Russin. Er Amerikaner. Eine fatale Liebe und die Traumata des 20.Jahrhunderts.

Es ist Liebe auf den ersten Blick, was da passiert zwischen der namenlosen Frau aus Berlin und dem 20 Jahre älteren Andy. Sie Russin, er Amerikaner, beide Juden. Sie treffen sich auf einem Literaturfestival in Österreich. Das Städtchen heißt Hall, aber die Erzählerin findet der Name klinge wie "hell", also: Hölle.

Einer Anderen wäre das eine Warnung gewesen, aber die Erzählerin geht ins Risiko. Immer. Liebe ist ihr keine Sache der Vernunft, lieben heißt lieben wie Bonnie und Clyde: Rasend und selbstzerstörerisch. Andy ist dafür der ideale Partner. Andy ist Dichter, Ex-Soldat und Ex-Alkoholiker. Rachsüchtige Ex-Freundinnen und islamistische Attentäter bevölkern seine Alpträume.

Vor allem aber klappern auf dem Dach seiner Wohnung in San Francisco nachts Absatzschuhe, vor dem Hauseingang liegen Gitanes-Zigaretten und in der Abstellkammer alte Nylonstrümpfe. Andys tote Mutter Sophie geht um.

Sophie ist im Paris der 30er Jahre aufgewachsen. Sie hatte Geburtstag, als die Deutschen in Paris einmarschieren, im Juli 1942 gelang ihr zusammen mit ihrer Mutter die Flucht vor den Transporten nach Auschwitz. Erst in den Süden Frankreichs und irgendwann in die USA.

Ihre Kriegserfahrungen hat die Mutter ihrem Sohn Andy vererbt, der in den USA geboren wurde. Das Überleben-Müssen, das Ausgeliefertsein, die Unsicherheit. Dass die Erzählerin mit ähnlichen Dämonen kämpfen muss, deutet sie nur an. Viele ihrer Verwandten wurden im Herbst 1941 in der Schlucht Babyn Jar bei Kiew erschossen.

Vermutlich gilt dasselbe für Julia Kissina. Was Julia Kissinas Roman "Bubusch" weit heraushebt aus der immer noch wachsenden Zahl von Büchern, die sich mit den Traumata von Holocaust und Krieg befassen, ist ihr völliges Desinteresse an jeder Art von Botschaft, Moral oder Anklage.

Was die Dämonen der Vergangenheit mit Andy gemacht haben, ist offensichtlich. Doch heißt das nicht, dass er selbst kein Monster wäre. Mitleid hilft niemandem und lösen oder erklären lässt sich hier ohnehin nichts. Irgendwann bleibt nur noch die Flucht.

Doch bis es soweit ist, rauschen die beiden ungleichen Liebenden von einer Katastrophe in die nächste, volle Kraft voraus durch amerikanische und europäische Träume und Alpträume. Urkomisch ist das oft, verstörend und sehr bewegend. Ein herrliches, verwegenes Buch!

Eine Rezension von Uli Hufen

Literaturangaben:
Julia Kissina: Bubusch
Aus dem Russischen von Ingolf Hoppmann und Olga Kouvchinnikova
Matthes & Seitz, 2023
224 Seiten, 24 Euro